Phantastik oder wahre Wunder entscheide selbst bei dem dreizehnte Kapitel vom EBook »Wundervolle Nasha«:
Die Wurzeln von dem, was unser Leben und das Ich ausmachen, das sind unsere Erfahrungen.
Viele Geschichten sind es, die ich erzählen könnte um zu zeigen, aus welchem Erfahrungen ich gebaut bin. Doch so viele ich auch anführen und erzählen würde, positive, wie auch negative Erfahrungen vorbringen täte, so wären es doch nur Geschichten.
Sie wären nicht mehr, als nur Worte und von dem Leser in dessen Fantasie gezeichnete Bilder.
Um zu verstehen, wer ich bin und was ich erzählen möchte, sollte man jede meiner Geschichten erfühlen und selbst durchleben können. Eine schwierige Situation ist das. Diese Erfahrungen sind es, die uns Menschen als das prägen, was wir sind. Erlebt man Seltsames und Extremes, dann wünscht man sich nicht selten, es mit anderen Menschen zu teilen. Das ist wohl die Natur des Menschen, eine Art Kraft, die uns Menschen als Gesellschaft voran bringt.
So sitze ich nun hier und schreibe alles auf.
Oft schon habe ich darüber nachgedacht wie es wohl wäre, einfach alles zu vergessen. Täte ich meine Erfahrungen wohl vermissen? Vor allem jene, die nicht schön und angenehm waren?
Ich komme immer wieder zu dem gleichen Schluss, dass ich nicht auch nur eine Winzigkeit und nicht ein noch so kleines Detail vergessen möchte. Dabei ist es egal, wie schlimm es auch gewesen sein mag.
Würde ich alles das vergessen, dann wäre ich nicht mehr jener Mensch, der ich heute bin. Seelische und körperliche Narben würde ich wohl schon noch tragen und sie deutlich in mir fühlen. Doch ich könnte sie mir nicht mehr erklären.
So schleppe ich jeden Tag eine schwere Last mit mir herum, ohne sie wirklich missen zu wollen. Manchmal meine ich, unter dieser Last zusammenbrechen zu müssen. Oft wünsche ich mir eine kurze Pause. Doch dann wird mir rasch klar, dass ich damit nicht mehr das sein würde, was ich eigentlich bin und was ich war. Also beschließe ich in Folge, mein Leben tapfer durch zu stehen. Ich stehe es für alle jene Menschen durch, die mich mögen und denen ich etwas bedeutet, auch wenn ich viele von ihnen vielleicht noch nicht einmal kennen mag. Man schenkt ihnen damit die Bereitschaft, die Last der Vergangenheit zu tragen und unter ihr zu leiden. Sie sind selbst Menschen und müssen selbst an ihrer eigenen Last schleppen und schwitzen. Einfach zu beschließen, ihnen eine zusätzliche Last aufzutürmen, nämlich meine Last, das wäre wirklich kein Freundschaftsdienst. Es wäre egoistisch und auch ein wenig töricht von mir. Ich denke heute so. Für mich ist das Schleppen an der eigenen Vergangenheit etwas Kostbares und eine Art Privileg. Durch das ständige Reflektieren mit dem Geschehenen lerne ich aus ihm und stärke ich meinen Geist.
Leide ich an dem Vergangenen, entwickle ich mich durch das Begreifen seiner Inhalte. Der Mensch kann nur durch das reine Erleiden der Welt, die Wirklichkeit begreifen. Leben heißt für mich, viel zu leiden in positivem Sinn, so wie auch im negativen. Das Leiden öffnet in uns viele Tore zu unserem Geist. Wir brauchen diese Erfahrungen, um das Leben zu begreifen und den Sinn der Vergänglichkeit zu verstehen. Es durchbricht die Mauern des Alltags und stellt eingefahrene Handlungsweisen in Frage.
Es war für mich eine ungemein große Bereicherung zu verstehen und mich dem Leben völlig hingeben zu können. Es war eine wertvolle Erkenntnis für mich, der Natur Vertrauen schenken zu müssen, um überhaupt in die Lage versetzt zu werden, etwas tatsächlich erleben zu können (etwas er-leben sozusagen).
Viele Menschen postulieren über das Leben und den Lebenssinn, ohne sich selbst dem Leben jemals aufrichtig hingegeben zu haben. Seit der Hingabe bei der eigenen Geburt, ist oftmals nicht mehr viel hinzu gekommen. Sie haben es nie gelernt, oder verlernten es im Laufe des Lebens. Viele haben sogar ihre Wurzeln völlig verdrängt, um sich möglichst viel Leiden und Schmerz zu ersparen.
Das Leben, es ist ja ungemein schön, so sagen sie, und alle Zuhörer nicken dann eifrig. Sie lassen es Krachen, so möchte ich einmal behaupten. Doch eigentlich haben sie nichts begriffen. Viele von ihnen klammern sich verbissen an ihre Vision von einem schönen Leben. Nur was ist das für ein Leben, das sie meinen? Es ist nur eine Idee von Leben, die in ihren Köpfen herum geistert. Oft bestehen sie auf ihre Vision vom Superleben so sehr, dass sie es nicht einmal mehr bemerken, damit andere Menschen, die Natur und die Welt um sich herum zu schädigen und zu töten. Ich finde das erschütternd und traurig.
Das Leben ist nicht schön, auch wenn die Werbung in den Medien es immer wieder gerne anders darstellt. Behauptet das jemand, dann ist er töricht, oder er ist auf mein spärliches Geld aus. Fast schon Mitleid empfinde ich, wenn sie mir ihre Phrasen über ihre Kuschelleben gebetsmühlenartig um die Ohren hauen. Traurig bin ich, wenn sie »aber so richtig taff« ihr Leben durchziehen, ohne die Chancen zu erkennen, aus ihm möglichst üppig Sinnvolles zu lernen und Empfindungen mit zu nehmen.
Empfindungen sind das Produkt aus der aktiven Symbiose von Geist und Körper. Das ständige Konsumieren von Vergnügen, das ist kein Leben. Nein, das ist Verdrängung. Manchmal denke ich darüber nach, ob es nicht auch genau das ist, was die Bibel den Menschen sagen möchte. Das Leben zu erfahren heißt, es zu erleiden. Es so zu erleiden, wie es der weise Protagonist Jesus in dem Buch seinen Anhängern vor erlebt hat. Er hat für die Menschen gelitten und sich dem Schicksal ergeben.
Oft wünschte ich mir, nur einen Tag lang ohne Schmerzen und Verzweiflung zu sein. Manchmal verlockt es mich sehr, einfach zum Arzt zu gehen und mir etwas aufschreiben zu lassen, um einfach alles abstreifen zu können. Einfach einmal zudröhnen lassen, bitte. Auch wenn es nur für eine kurze Zeit ist. Ich lebe jeden Tag, als wäre die Haut an meinem ganzen Körper wund, jeder Nerv in ihm gereizt und in Flammen stehend.
Doch im nächsten Augenblick wird mir dann ermahnend bewusst, dass es genau das ist, was ich eigentlich brauche, um das zu sein, was ich bin und was mich ausmacht. Ohne dieses Leiden und diesen ewigen Schmerz wäre ich nicht mehr in der Lage, meinen Platz einzunehmen.
Es ist wie eine Magie, eine Magie des Lebens, der ich mich beugen muss. Ich würde mich selbst verfälschen und alles verändern, täte ich es nicht. Dieser Schmerz und dieses ewige Brennen in mir, es ist ein wichtiger Ausdruck meiner Sensibilität und meiner Natur. Sie symbolisiert meine kreative Kraft und sie ermöglicht es mir, Gegensätze in der Natur sensibler wahr- und aufzunehmen. Seine ewige Präsenz, sie lässt mich bei jenen Erfahrungen ausharren und bestehen, bei denen andere Menschen wohl längst fort gelaufen oder verrückt geworden wären.
Doch meine besondere Art, sie hat mich für ein Leben mit meiner Veranlagung trainiert und mich vorbereitet. Hätte ich dieses Training unterbrochen und eingegriffen, es verändert und manipuliert, dann wären die Folgen sicherlich extrem für mich gewesen. Ich wäre den Reizen meines Lebens und den noch funktionierenden Veranlagungen wohl schutzlos ausgeliefert gewesen. Eine Art Gleichgewicht hätte es dann wohl nicht gegeben. An meinem Schicksal und meinem Leben wäre ich wohl zerbrochen. Entweder ich wäre wahnsinnig geworden oder würde heute nicht mehr unter uns weilen. Da bin ich mir sicher.
Autor: © Alexander Rossa 2019
Phantastik oder wahre Wunder entscheide selbst bei dem zwölften Kapitel vom EBook »Wundervolle Nasha«:
Wenn Menschen überzeugt behaupten, dass sie alleine im Universum existieren und es auch nach den Erkenntnissen der heutigen Wissenschaft wirklich genau so sein soll, dann weiß ich wirklich nicht, wer die wundervolle Nahsa ist.
Sie ist ein Wesen, das nicht von dieser Welt zu sein scheint, aber es wohl doch auch ist. Immerhin kann ich sie sehen, ihr Tun beobachten, ihren Körperduft riechen und ihre Nähe spüren. Für mich ist sie völlig real, auch wenn sie sich an einem Ort, vielleicht sogar in einer Zeit oder sich in einer Dimension befindet, die uns rein körperlich nicht zugänglich zu sein scheint.
Die Bekanntschaft zu ihr, sie begann mit einem Traum. Nein, es war wohl wieder einmal viel mehr, wohl eine von diesen Visionen, die uns beide zusammengeführt hatte und mit der unsere schwierige Bekanntschaft begann. Dieses eine Erlebnis, es prägte mein ganzes Leben nachhaltig.
Ich schlief an jenem völlig normalen Abend ein. Irgendwann begann ich zu träumen. Jeder Mensch träumt. Das Träumen, es hält einen Menschen gesund und fit, und das Träumen, es ist nicht das Ungewöhnliche. Doch dieser »Traum», er war ein wahrhaft seltsamer Traum. Während meine Frau neben mir ruhig schlief, da wurde ich von diesem merkwürdigen Traum, seinen vielen Bildern und Eindrücken regelrecht gefesselt und entführt. Er war ungemein intensiv und fühlte sich völlig real an. Viele Menschen haben solche Träume auch selbst schon einmal am eigenen Körper erlebt. Doch dieser Traum, er war dennoch ganz anders, viel intensiver und realer. Fast schien es, als wäre ich selbst in dem Szenario gefangen gewesen, wäre weitaus mehr dort, als in meiner Welt und in meinem Bett. Es schien fast so, als würde ich mit jeder Bewegung und jedem Atemzug tiefer in diesen Traum hineingezogen werden. Ohne etwas gegen dieses grenzenlos erscheinende Hinabgleiten spürbar ausrichten zu können und mit der latent nagenden Gewissheit, immer tiefer in eine Szenerie einzutauchen, von der man im Allgemeinen glaubt, sie würde aus meinem eigenen und tiefsten Inneren heraus entstehen, ließ ich die Ereignisse einfach über mich ergehen. Mir, dem Schlafenden blieb zunächst auch kaum etwas anderes übrig, so will ich wohl meinen. Meine eigentlich gut trainierte Fähigkeit, eigene Träume kontrollieren zu können, sie schien in jener Nacht zu einer regelrechten Farce verkommen zu sein.
Doch dann, ich war plötzlich angekommen.
Wo ich jedoch angekommen war, das ist mir bis heute ein Rätsel. Auch hat ein ganzer Teil von mir diesen Ort niemals wieder verlassen.
Ein leises Knarren war in dem alten Haus zu hören, in dem ich mich befand. Ich saß auf den Treppen zum oberen Stockwerk.
Dann vernahm ich plötzlich zaghafte, ganz vorsichtige Schritte, die sich mir von oben näherten. Über mir auf dem Treppenabsatz, dort erschien eine Frau. Sie war mittleren Alters, trug kurze Haare, hatte sehr schöne und volle Lippen, zudem noch ein ziemlich hübsches Gesicht. Ein ungemein freundlicher Ausdruck lag in ihrer ganzen Mimik. Dieser Ausdruck in ihrem Gesicht, er wirkte fast schon liebevoll und wohlwollend auf mich. Seltsam.
Ich jedoch, ich lag auf der Treppe, war an meinem Bein verwundet und vernahm lautes Geschrei, welches von außerhalb des Hauses zu kommen schien. In diese Situation war ich einfach unerwartet hineingeboren worden und selbst erheblichst erstaunt über diesen Zustand. Als hätte ich einfach in eine andere Welt hinein gewechselt, so kam mir alles vor. Ich war deutlich verwirrt.
Während dort vor dem Haus Menschen laut um Hilfe schrien und die Schüsse krachten, fesselte diese ungemein anziehende Erscheinung der Frau mich völlig und zog meine gesamte Aufmerksamkeit auf sich. Sie strahlte eine unglaubliche Ruhe aus. Ihre Augen, sie zeigten sich mir klar, waren voller Freude. Man kann es kaum beschreiben, aber ihre Ausstrahlung war einfach überwältigend. Sie schien so sehr voll Güte und positiver Energie gewesen zu sein, und sie war mir auf eine irritierende und intensive Art vollkommen vertraut. Ich fühlte mich bedingungslos von ihr geliebt und angenommen. Ein regelrechtes Feuerwerk an Emotionen hielt mich in Atem. Diese seltsame Kreatur, sie war weniger ein Teil von dem Traum selbst, weil sie ihn ganz offensichtlich völllig beherrschte. Auch von dem ganzen Geschrei schien sie völlig unbeeindruckt zu sein. Sie sagte zu mir: »Hallo, du brauchst dich nicht zu fürchten. Alles ist gut, verstehst du mich?«
Ich war diesem Wesen schon oft in ganz ähnlichen Träumen und auch in ganz anderer Gestalt begegnet. Wie schon in vielen Träumen zuvor, so starrte ich sie nur wortlos an, als wäre ich durch eine Form von Reizüberflutung gelähmt. Alle Angst in mir, sie war augenblicklich vergessen, als wäre sie einfach ausgelöscht worden. Offenbar raubte sie mir jegliches Gefühl, das dazu geeignet gewesen war, mich zur Abwehr oder zu einer Art Flucht zu veranlassen. Mir war in dieser Situation tatsächlich alles vollkommen egal, warregelrecht berauscht, und ich glaubte dieser Kreatur bedingungslos. Es war nur noch dieses eine Gefühl der Zuneigung in mir präsent, das mich vollkommen überflutet hatte. Es überschwemmte mein Innerstes und beschäftigte meinen Verstand bis zu seinem Anschlag. Das war ein unglaubliches Erlebnis, selbst wenn es nur ein Traum oder eine Vision gewesen war, in dem oder der ich verletzt auf einer morschen Treppe kauerte. Doch wer diese Frau war, das wusste ich wirklich nicht, und das schien in dieser unwirklichen Situation auch völlig bedeutungslos gewesen zu sein. Sie war einfach nur. Das alleine, es schien nur noch zu zählen.
Dann nahm sie meine Hand und führte mich langsam auf die Straße hinaus. Diese wirkte zwar grau und schmutzig, war aber dennoch widererwartend völlig menschenleer. Es war kein Geschrei mehr zu hören, bis auf das entfernte Zwitschern eines einsamen Vogels und das sanfte Rauschen des Windes, der sich ein wenig unwirsch und trotzig seinen Weg zwischen den engen Häuserschluchten suchte. Die Schreie der Menschen, die Wirren des Kampfes und alle lauten Geräusche die ich zuvor vernommen hatte, sie waren komplett verstummt. Diese Frau, sie war kein Mensch. Da war ich mir plötzlich absolut sicher. Doch sie beherrschte meinen Traum, meine Vision oder meine bizarre Reise.
Wie ein kleiner Junge, so stapfte ich, etwas schräg versetzt, hinter diesem hübschen Wesen her. Ich war dieser Kreatur in Frauengestalt völlig erlegen, so ganz und gar nicht mehr ein selbstbewusster Mensch war ich. Diese Krone der Schöpfung, wie wir Menschen uns doch heute immer wieder so gerne selbst sehen, sie war vollkommen aufgelöst. In der Gegenwart dieses Wesens, da fühlte ich mich nur noch primitiv, schwach und völlig hilflos. Aber es gab keinen Grund zur Furcht für mich. Alles schien mir verziehen und vlllig unwichtig zu sein. Meine Fehler der Vergangenheit, sie waren bedeutungslos und meine Unsicherheit, sie erschien mir unbegründet. Selbst das Gefühl von dieser Schuld befreit zu sein, es war nicht wirklich spürbar.
»Was geschieht, das ist völlig ohne Bedeutung. Nichts ist wirklich wichtig. Alles ist gut, auch wenn es nicht so erscheint.«
Diese wenigen Worte aus ihrem sinnlichen Mund, sie drangen tief in meinen Geist ein, wirkten fast schon hypnotisch auf mich, auch wenn sich mir ihre eigentliche Bedeutung erst Jahre später erschließen sollte.
Die Frau dreht sich zu mir um und lächelte wieder, während sie mit ihrer anderen Hand und einer geschmeidigen Geste, auf die untergehende Sonne zeigte. Diese legte sich langsam über die flacheren Häusern dieser Stadt, als wäre sie vom Tag kraftlos und müde geworden.
Wir setzten uns schließlich gemeinsam auf die Straße und betrachteten zusammen das faszinierende Schauspiel eines wundervollen Sonnenuntergangs. Mehr geschah nicht, und es musste auch nicht mehr geschehen. Diese gemeinsamen Augenblicke beinhalteten alles, was möglich war und sein konnte. Schließlich erwachte ich ganz plötzlich mit einem Schrei in meinem Bett. Oft erwachte ich aus diesen Träumen mit Schrecken und Schrei. Als wäre ich mit Gewalt aus der Ferne und einem anderen Leben gerissen worden, so empfand ich. Die Bilder dieser anderen Welt, sie waren augenblicklich verschwunden. Ich lag in meinem Bett. Meine arme Frau, sie war durch den Aufschrei ebenfalls erwacht und aufgeschreckt. Sie blickte mich mit ihren müden Augen an. Ich fühlte mich, als wäre ich in einer atemberaubenden Geschwindigkeit von einer extrem weiten Reise zurückgekehrt und dann mit heftiger Wucht in meinem Bett gelandet.
Verwirrt schaute ich mich um. Meine Gefühle und mein Geist, sie waren noch immer bei dem Sonnenuntergang an jenem faszinierenden Ort, den ich Augenblicke zuvor mit dieser ungewöhnlichen Kreatur bewundert hatte.
Daraufhin erklärte ich meiner Frau mein Erlebnis, und ich hatte den Eindruck, sie würde mich insgeheim belächeln, oder noch schlimmer, mich womöglich sogar »süß« finden. Ich fühlte mich plötzlich nur noch wie ein Trottel, ein alberner Tor, der eben nur einen schlimmen Traum gehabt hatte, den er seiner Mutter erzählte.
Den Rest der Nacht blieb ich wach. Ganz aufgeregt war ich. Meine Träume, sie beschäftigten mich. Ich konnte einfach keine rationale Erklärung für sie finden. Es waren wohl keine Träume. Träume waren anders. Das war für mich klar. Was oder wer waren die Protagonisten meiner Träume und Visionen? Was waren das für seltsame Wesen? Waren sie nur ein Produkt meiner Phantasie, womöglich nur ein Hirngespinst, eine Folge vom Stress des Alltags?
Jedoch alles in diesen Welten, es schien mir so unglaublich real gewesen zu sein. Noch immer hatte ich den Brandgeruch in der Nase, spürte ich die warme Abendbrise, und hätte von der beeindruckenden Frau ein Bild malen können, so gut erinnerte ich mich an ihr sagenhaftes Aussehen und ihren beeindruckenden Habitus.
In den ganzen nächsten Tagen konnte ich diese Traumerlebnisse nicht so richtig abschütteln und für mich verarbeiten. Sie beschäftigten mich unentwegt. Auf meine Arbeit konnte ich mich auch nicht mehr richtig konzentrieren. Stieß ich auf andere Menschen, so reagierte ich gereizt, wirkte stets nervös. Immer wieder versuchte ich dieses Gefühl der bedingungslosen Liebe in mir zu reproduzieren. Ich hatte eine regelrechte Sehnsucht danach. Fast schon schien ich einer Sucht danach erlegen zu sein. Es war ein Gefühl der Liebe und der völligen Annahme, das ich niemals zuvor empfunden hatte. Man kann es nur sehr schwer in Worte fassen, aber es lag in einer Art Aura um diesen Wesen herum, die mich derart hat fühlen lassen, so dass man wohl an etwas Magisches oder Übernatürliches glauben mochte.
Der Alltag um mich herum, er erdrückte mich inzwischen nahezu und war fast ebenso grau, wie jene Welt in meinem Traum, wenn es denn überhaupt ein Traum gewesen war. Nur diese Frau in meiner Erinnerung, sie schien mir hell, bunt und freundlich. So gewöhnte ich mir an, jeden Abend mit einer gewissen inneren Theatralik Schlafen zu gehen, eben mit einem Gefühlsgemisch aus Furcht und Vorfreude darauf, womöglich wieder in eine dieser Traumwelten zu gelangen.
Nach einigen Tagen begegnete ich diesem Wesen tatsächlich erneut.
Es waren gleich mehrere Träume, einer tiefer und intensiver, als der andere. Manche Situationen waren schrecklich, andere entsprachen normalen Alltagssituationen. Es war faszinierend, wie sehr sich die Wahrnehmung in diesen Träumen veränderte, sich die Welten detaillierter zeigten und ich offenbar mit jedem Traum mehr und mehr lernte, sie besser und konzentrierter wahrzunehmen.
Auch traf ich immer wieder auf diese seltsamen Kreaturen. Sehr oft erschienen sie mir weiblich, in Form von wunderschönen Frauen, deren Schönheit durch ihre Ausstrahlung ganz entscheidend raffiniert wurde. Manchmal waren Männer dabei, wirkten wie Bekannte und Freunde dieser Frauen, strahlen aber ebenso dieses Gefühl der Dominanz und Freundlichkeit aus, wie es die Frauen auch schon taten. Mit der wachsenden Anzahl dieser Erlebnisse fiel es mir immer schwerer, diese Träume als solche zu akzeptieren. Ich verlor zudem das Verlangen aus ihnen zu erwachen, so sehr berauschend war diese Flut an positiven Emotionen. Jeden Augenblick meiner Freizeit versuchte ich zu schlafen, wollte immer wieder und wieder auf diese Wesen treffen, hastete ihrer aufrichtigen Liebe und Zuneigung entgegen. Beinahe schien ich auf der Flucht vor dem dagegen, eher grau und einfach wirkenden Leben in meiner wachen Welt zu sein.
Mit der Zeit schienen die Grenzen zwischen dem Träumen und einem wachen Zustand zu verschwimmen. Die Welten dieser seltsamen Träume, sie schienen mir ebenso bedeutungsvoll zu sein wie jene, in meinem wirklichen Leben. Doch was war das wirkliche Leben?
Tage und Wochen vergingen. Die Traumaktivitäten ließen dann allmählich wieder nach. Nur noch selten kamen diese seltsamen Träume, was mich tatsächlich ein wenig beruhigte. Ein Mensch benötigt stets etwas Zeit, um seine Erlebnisse zu verarbeiten. Ich war ein Mensch und erholte mich endlich etwas.
Doch dann, nach einer Weile, da geschah es, dass sie wieder deutlich mehr mit mir den Kontakt suchen ließ. Ich traf einen von ihnen in einem recht friedlichen Szenario. Es war ein junger Mann, der mich mit einer Frau zusammenführte. Sie hatte dunkle Haare, Sommersprossen und braune Augen. Aber sie war definitiv keines dieser seltsamen Wesen. Sie war nicht dominant, sondern sie war eindeutig ein Teil dieser Vision selbst und stand auch nicht über dem gesamten Geschehen, wie es diese Wesen taten. Diese Frau war ein Teil dieser Welt, in der ich selbst, zu Gast war.
Sie hatte jedoch die Fähigkeit, mich intensiver wahrzunehmen, als es die anderen Menschen in diesen Welten taten. Für die anderen Menschen schien ich mehr nur eine Art Schatten zu sein. Sie jedoch nahm mich wirklich wahr. Das kam mir allerdings schon recht ungewöhnlich vor. Doch ich nahm an, dass es auch in diesen anderen Welten, wo immer sie sich auch befanden, ebenfalls Menschen lebten, die ähnlich veranlagt oder von diesen Wesen ausgesucht waren, wie ich selbst auch.
Der junge Mann unterdessen, er war stets bei ihr, und sie beide, sie folgten mir auf Schritt und Tritt. Nach einiger Zeit sprachen wir miteinander und es schien mir, alswürde ich diese junge Frau schon seit Ewigkeiten kennen. Richtig vertraut war sie mir, und sie hatte ein sympathisches Wesen. Sie jedoch, sie schien nicht zu ahnen, dass meine Zeit in dieser Vision und in dieser Welt nur begrenzt war und gab sich ausgelassen. Sie schien völlig unbekümmert gewesen zu sein.
So tollten wir gemeinsam in dieser nächtlichen Stadt umher, zwischen den vielen bunten Lichtern und den eher etwas teilnahmslos wirkenden Menschen, und ich empfand deutlich mehr für diese Frau, als nur eine reine Zuneigung. Wir sahen durch die vielen Fenster, hinein in die fremden Wohnungen, beobachteten die Menschen auf der Straße und jagten die Stufen der Treppen hinauf, die es überall in dieser Stadt gab. Es schien mir damals fast so, als würde ich einfach in diese Zeit und zu dieser Frau gehören. Was für ein atemberaubendes Traumerlebnis war das nur?
Der junge Mann war allerdings auch stets bei uns. Es erschien mir fast schon so, als wäre er eine Art Aufpasser. Doch er störte uns nicht.
Er beeindruckte uns beide gleichermaßen mit seiner extrem positiven Ausstrahlung. Es war ganz offensichtlich, dass die Frau ihn ebenso faszinierend fand, wie auch ich es tat. Das war erstaunlich, da sie in ihrer Welt lebte, ich jedoch eigentlich in meiner, wir beide dennoch ähnlich empfanden. Doch von Ablehnung und Skepsis unserem jungen Freund gegenüber, da war in mir nichts zu spüren und zu entdecken. Es war so in Ordnung, wie es war. Vielmehr erschien er uns wie ein lieber Freund oder eine Art Beschützer, eben eine Art Wesen, das über uns wachte, die Situation kontrollierte und für uns da war.
Als ich nach einer langen Weile der Unbekümmertheit schließlich recht deutlich wahrnahm, dass diese ungewöhnliche Vision bald enden und dieser überwältigende Traum zu seinem Ende kommen sollte, löste ich die junge Frau ein wenig aus dem nächtlichen Geschehen heraus. Ich versuchte ihr die Situation zu erklären, die mir inzwischen sehr ungerecht und richtig schrecklich erschien. Sie bekam bei meinen Worten sogleich kleine Tränen in ihre Augen, die im Licht der Straße zauberhaft glitzerten. Ihr Gesicht verbarg sie, um verschämt weinen zu können. Sie hatte vielleicht doch geahnt, dass unser Zusammentreffen nur endlicher Natur gewesen war. Doch nun, als sich das Ende tatsächlich anbahnte, empfand sie es als sehr schmerzlich. Es zerbrach mir damals fast das Herz. Ich konnte ihr nur hilflos beim Weinen zusehen und war innerlich extrem aufgewühlt und wund.
Dann brach es plötzlich über mich herein, ohne das ich mich dagegen wehren konnte. Meine Verbindung zu dieser Welt, sie wurde hart und brutal gelöst. Ich dachte augenblicklich an meine Frau und meine Kinder, sah sie in Gefühlen betrogen, konnte mich aber der Liebe zu dieser Frau, die weinend und völlig hilflos vor mir stand, nicht erwehren. Sie war mir einfach zu sehr vertraut, als würde ich sie bereits ein Leben lang kennen, so wie ich meine Frau in meiner Welt kannte.
Da war eine seltsame Wesensverwandtschaft, die ich mir nicht erklären konnte. Es folgten kurze, aber auch schreckliche Augenblicke in einer anderen Welt. Doch noch bevor ich sie tröstend in meine Arme nehmen konnte, erwachte ich aus dieser Vision, schreckte hoch, war plötzlich hellwach und schrie tonlos völlig verzweifelt in mich hinein: »Ich liebe dich! Hörst du, ich liebe dich!"
Innerlich gehetzt und reichlich verwirrt sah ich mich um, entdeckte meine Frau, die fest neben mir schlief. Ich wollte wieder zurück in meinen Traum. So konzentrierte ich mich intensiv auf die verloren gegangene Szene, auf diese Frau, sah sie noch immer weinend vor mir, als wäre sie eine Art Bildnis und schrie immer wieder in meinen noch schlaftrunkenen Geist hinein, dass ich sie lieben würde. Ich flehte und bettelte verzweifelt, wollte wieder bei ihr sein. Das Bewusstsein sie in eine Unwirklichkeit hinein verloren zu haben, es war schrecklich. Da war ein schmerzhaftes und reales Stück Unwirklichkeit. Es wollte mir einfach nicht gelingen, diese Szene und diese Frau wiederzufinden. Natürlich gelang es mir nicht.
Lange Zeit lag ich danach wach in meinem Bett, bevor ich tatsächlich wieder einschlafen konnte. Doch ich träumte in dieser Nacht nicht mehr wissentlich. Diese Frau, sie schien für mich verloren.
Beide waren wir nun in unseren Welten gefangen. Sie war es in ihrer, die es offiziell für mich nicht geben durfte, und ich in meiner, aus der ich alleine nicht ausbrechen konnte. Es lag nicht in meiner Macht, sie wiederzusehen. Ich war nur ein dummer, einfältiger Mann. Sie zu suchen, das schien für mich so, als würde ich versuchen, nach den Sternen zu greifen.
Ohne diese seltsamen Wesen, das war mir damals vollkommen klar, würde es mir nicht mehr gelingen, ihre Welt wiederzufinden. Ihr weinendes Gesicht, der Schmerz in ihrem Gesichtsausdruck, ich konnte diese Frau nicht vergessen.
Es fiel mir in den Tagen danach sehr schwer, meine Gefühle vor meiner Frau zu verbergen. Hatte ich sie betrogen? Ich liebte sie und war verunsichert. Aber ich empfand auch eine starke Liebe zu dieser Frau aus der Vision. Vielleicht liebte ich auch nur einen Traum? Konnte man zwei Frauen in zwei parallelen Welten zugleich lieben?
War dieses tatsächlich möglich, so waren wir Menschen wohl ebenso dazu fähig, im Unendlichen jeweils verschiedenen Menschen gleichzeitig lieben zu können. Doch was schreibe ich hier nur...? Ich schreibe hier über eine Gestalt in einem Traum. Jedenfalls beruhige ich mich selbst mit dieser Erklärung.
Mit den Jahren und der hohen Anzahl an durchlebten Visionen habe ich gelernt, einmal besuchte Welten auch von ganz alleine ansteuern zu können. Diese Möglichkeit bedarf einer Menge Konzentration und Willenskraft, und sie ist nicht tatsächlich in der Lage, mich auf diese Welt zu bringen, so wie es diese seltsamen Wesen schaffen. Es gelang mir auch nicht immer und wenn es gelang, dann nur für kurze Zeit, da es sehr viel innere Energie kostete. Ich hatte nach der Begegnung mit dieser Frau diese Wesenheiten in meinen Träumen immer wieder angefleht und sie angebettelt mir eine Möglichkeit zu verschaffen, zumindest diese Frau auch nur sehen zu können. Sie zu vergessen, das war mir völlig unmöglich geworden.
Ich habe sie schließlich für mich »Nasha« genannt, und selbst dieser Name, er scheint nicht einfach nur ein Produkt meiner Phantasie gewesen zu sein, sondern er hat seinen Ursprung in ihrer Welt. Ob es jedoch ihr wirklicher Name war, das weiß ich nicht.
Sie lebt alleine in einem Haus. Oft ist sie mit den alltäglichen Dingen des Lebens beschäftigt, selten nur, da ist sie überhaupt nicht zu sehen, wenn ich bei dem Haus bin. Manchmal schläft sie. Dann komme ich ihr ganz nahe und betrachte sie beim Schlafen. Ich fühle mich dann immer so, als wäre ich nur eine Art Geist in ihrer Welt. Einmal erwachte sie, während ich sie ansah und hatte zunächst nicht reagiert. Sie konnte mich nicht sehen oder hören, da ich eigentlich nicht dort war. Doch als sie schließlich beim Aufstehen aus dem Bett ein wenig in meine Richtung gelächelt hatte, da bildete ich mir insgeheim ein, dass sie meine Anwesenheit zumindest gefühlt hatte. Vielleicht hatte sie auch nur an mich gedacht, und es war vielleicht ein ganz schwacher, ganz feiner Reiz meiner Anwesenheit, der sie auf den Gedanken gebracht hatte? Ich weiß es nicht, war aber glücklich, sie lächeln zu sehen.
Meistens reichte meine Kraft nicht aus, um ihr nahe zu sein, und ich blicke dann auf das kleine Haus hinab, als wäre es eine Art kleines Häuschen in einer Schneekugel ohne Schnee. Meine Besuche bei ihr, sie waren bereits ein Erfolg, konnte ich doch erkennen, dass es ihr gut ging. Auch sah ich sie oft traurig und in sich gekehrt, was ich dann als sehr schlimm empfand. Man konnte sie nur sehen, ihr aber nicht helfen, ihr nichts mitteilen. So waren wir uns nahe, aber dennoch so weit voneinander entfernt.
Auf die eine und ganz besondere Art und Weise ist es schön zu wissen, dass es Nasha gibt. Ich weiß nicht, wieviele Wesen vielleicht auf mich selbst hinabblicken und bei mir sind. Ein seltsamer Gedanke.
Doch andererseits begreife ich nicht, warum diese Wesen uns bekannt gemacht haben, wenn wir danach doch nur wieder getrennt wurden. Meiner Kenntnis entzieht es sich, ob sie eine Frau aus meiner Vergangenheit war, sie eine Liebe in der Zukunft sein wird, oder sie nur eine von unendlich vielen Nasha-Frauen, auf unendlich vielen und nebeneinander existierenden Welten ist. Vielleicht trennt uns auch nur der Hauch einer Sekunde, nur ein Atemzug, womöglich auch nur unser begrenztes Bewusstsein voneinander?
Doch was würde mir das Wissen um diese Liebe und die Frau bringen? Von allem ich nicht weiß, damit würde ich mich auch nicht beschäftigen?
Doch vielleicht war es genau das, was ich begreifen sollte. Die Bedeutung von allem um uns herum und von unserem Leben, alles das verbiegt und dehnt sich durch dieses privilegierte Wissen. Es war mehr, als nur ein Traum. Immer wieder bestehe ich darauf. Es war zumindest eine Erfahrung, die mein Denken und mein Bild von der Welt verändert hat. War es mehr, als nur eine Erfahrung und war ich wirklich auf einer anderen Welt, dann würde dieses Wissen alles verändern. Nasha wäre eine Frau aus Fleisch und Blut mit echten Gefühlen, und sie zu erreichen, das wäre nicht unmöglich, sondern lediglich einen Augenblick Schlaf weit entfernt.
Jeder Ort in der Unendlichkeit, er wäre nur einen Augenblick weit entfernt, und wir Menschen wären irgendwie in der Lage, zu jedem Ort zu gelangen. Wir sind eben nur zu einfältig dazu, um es so treffend auszudrücken, wie nur möglich. So würde es uns vielleicht nur gelingen unsere Begrenztheit zu durchbrechen, wenn man sich der stärksten, antreibenden Kraft bedient, die für uns Menschen real nachvollziehbar ist und an die wir fest glauben - der Liebe. Vielleicht sollte ich genau das für die Menschen meiner Welt erlernen und weitergeben. Der Schlüssel den Augenblick zu durchbrechen, um zu einer anderen Welt zu gelangen, er vermag Liebe zu sein.
Autor: © Alexander Rossa 2019
Phantastik oder wahre Wunder entscheide selbst bei dem elften Kapitel vom EBook »Wundervolle Nasha«:
Wenn man ein sehr ungewöhnliches Leben lebt, dann lernt man auch ungewöhnliche Menschen kennen.
Ungewöhnliche Menschen ziehen sich nahezu magisch an, als würde eine starke Kraft sie zu einander führen. Doch die gleiche Kraft die sie verbindet, sie grenzt sie auch von anderen Menschen ab und fast immer leider auch aus.
Für mich war das damals eine gelebte Erfahrung. Da ich ständig auf der Suche nach Erklärungen für meine übersinnlichen und paranormalen Erfahrungen war und eigentlich auch heute noch ständig bin, habe ich viel einschlägige Literatur gelesen und mir entsprechende Inhalte zugeführt.
So ist mir auch der Bereich der Hexerei und der Hexen nicht verborgen geblieben. Nur stellte sich mir dieses Phänomen der Wächtter auf dem Zaun zwischen den Welten, als eine eher erklärbare und weltliche Sache dar. Es waren für mich Menschen, die eben nicht der Kirche folgten und den alten Weg bevorzugten. Oftmals wurden nur falsch verstandene Menschen und für die Kirchen problematische Charakter, einfach der Hexerei angeklagt, verfolgt und nicht selten verbrannt. Es war immer wieder auch der Aberglaube, der ungewöhnliche und eigensinnige Menschen zu Hexen erklärte, zu Wesen im Bund und Bann des Bösen. Menschlich wirkende Kreaturen waren das, so phantasierten viele Menschen, die satanische Messen feiern und dem Teufel zugetan waren.
Ich meine, dass heute viele Menschen Hexen und Hexerei so oder ähnlich sehen. Sie würden nicht mehr hinter diesem Phänomen vermuten, als eben das geschickte Benutzen des Aberglaubens der Menschen für eigene, zumeist fragliche und gerne auch kommerzielle Zwecke.
Doch eines Tages war ich einige Tage im Harz und traf bei einem Spaziergang eine alte Frau.
Ich saß neben ihr auf einer halb vermoderten Bank. Wir kamen ins Gespräch. Wie schon zuvor berichtet, schien es so, als würden wir uns schon seit Ewigkeiten kennen. An sich war das schon sehr seltsam. Man spürte fast eine Art Seelenverwandtschaft. Offenbar hatten sich hier wieder zwei Menschen auf magische Weise gefunden, die ein ungewöhnliches Leben führten.
Es wurde ein langer Nachmittag auf dieser Bank im Wald, und ich war erstaunt darüber, wie lange es diese alte Frau dort aushielt, um mit mir, einem jungen Kerl und Grünschnabel, zu philosophieren.
Obwohl diese Frau alt und gebrechlich wirkte, zudem ein wenig streng roch, war ihr Verstand vollkommen anwesend und wirkte messerscharf auf mich. In nahezu allen Bereichen des Leben schien es so zu sein, dass ich ihr argumentativ unterlegen war. Sie kannte auf jede meiner Fragen eine blitzgescheite Antwort, was mich extrem beeindruckte.
Am Abend dann brachen wir auf. Sie folgte dem Weg in den Wald hinein; meiner führte aus dem Wald hinaus. Das an sich, war schon sehr ungewöhnlich. Doch ich wusste inzwischen, dass sie dort im Wald in einem kleinen Haus lebte und sich gegen das Bemühen der Menschen hartnäckig wehrte, in ein Pflegeheim zu kommen. Sie schien mir damals ein wenig so, wie eine moderne Version von der Hexe bei Hänsel und Gretel der Gebrüder Grimm gewesen zu sein.
Im nahe gelegenen Dorf erkundigte ich mich in der Dorfkneipe über die Alte und erfuhr, dass sie dort schon seit Ewigkeiten im Wald lebte. Die meisten Menschen pflegten es, ihr aus dem Weg zu gehen, da man sie für sonderlich und verrückt hielt. Andererseits schien aber auch sie den Menschen aus dem Weg zu gehen, da man sie offenbar nur selten traf. Sie versorgte sich fast vollkommen selbst und kam eventuell einmal im Monat in eines der angrenzenden Dörfer, nur um Dinge zu regeln und zu kaufen, die man im Wald eben nicht bekommen konnte.
Natürlich faszinierte mich diese alte Frau jetzt nur noch mehr. Ich nahm mir vor, sie einige Wochen später, erneut zu besuchen und mir dann sogar ein Zimmer im Dorf zu mieten, um mehr Zeit für diese Frau und die Umgebung zu haben. Der Harz ist wundervoll in dieser Ecke.
So geschah es dann auch einige Wochen später. Doch ich wurde zunächst sehr enttäuscht, da ich den gesamten ersten Tag damit verbrachte, nach der Alten vergeblich zu suchen. Ich wollte mich bei ihr selbst zum Kaffee einladen. So war es mein Plan. Die gesamte weiträumige Umgebung um die morsche Bank herum, bei der wir uns das erste Mal trafen, die suchte ich ab und versuchte es auch an den Stellen, an denen mir der Wirt aus dem Dorf die besten Chancen beschrieb.
Doch von der Alten war nichts zu entdecken. So endete mein erster Tag mit großem Hunger, Enttäuschung und bleierner Müdigkeit. Obwohl das Bett in der Gastwirtschaft übel war und unter dem Bett eine alte, vertrocknete Bratwurst lag, fiel ich sofort in einen tiefen Schlaf.
Am nächsten Morgen war ich früh wach und machte mich nach einem guten Kaffee, gleich auf den Weg in den morgendlichen Wald. Es war ein wunderbares und reizvolles Wetter, und mir war es inzwischen relativ egal geworden, ob ich die ungewöhnliche alte Frau wiedersehen würde.
Ich wollte an diesem Morgen in erster Linie das schöne Wetter und die freie Zeit genießen. Sollte ich die Frau dabei ebenfalls treffen, dann war es gut, wenn nicht, dann eben nicht.
Doch als ich dann wieder an der Stelle im Wald mit der alten Bank angekommen war, musste ich mit Erstaunen feststellen, dass die alte Frau mich dort bereits zu erwarten schien. Ich setzte mich wieder zu ihr, und wir kamen sogleich ins Gespräch.
Später begleitete ich sie mit zu ihrem Haus, vor dem ebenfalls eine Bank aus Holz stand, auf der ich Platz nahm. Das Haus war ein altes Holzhaus, dessen Dach schon deutlich mit Moos begrünt war. Es sah richtig romantisch aus, auch wenn es nur einfach verglast und nicht sehr groß war. Es stand auf einer Lichtung mitten im Wald. Um das Haus herum, da war der Boden ein wenig ausgetreten und ohne Bewuchs. Die alte Frau kochte uns einen Kräutertee, den sie uns in altem Blechgeschirr servierte. So wie dieser Tee schmeckte, hatte sie die Kräuter wohl selbst gesammelt. Ich muss jedoch zugeben, dass ich zu Beginn meiner Teestunde sehr zurückhaltend war. Man konnte ja nicht wissen, was die Alte einem für Kräuter auftischte. Aber alles war gut, und sie selbst trank vom gleichen Tee.
Auch kam ich mir hier an diesem Ort und zusammen mit der Alten schon ein wenig albern vor. Das Bild einer Hexe der Gebrüder Grimm, es hatte sich nun einmal in meinen Kopf fest eingebrannt. War ich diesem Klischee zum Opfer gefallen? Ich schämte mich.
Wir unterhielten uns angeregt. Es war wieder einmal erstaunlich, wie geistig aktiv und brillant sie argumentierte, obwohl sie schon sehr alt war. Offenbar hatte sie Übung darin. Die frische Luft des Waldes, sie tat ihr offenbar ebenfalls gut. Sie erzählte mir ein wenig aus ihrem Leben, das wirklich sehr ungewöhnlich war. Es war ein Leben in einer Freiheit, die normale Menschen in dieser Gesellschaft wohl nie kennen lernen durften.
Diese Freiheit hatte ihre Wurzeln in ihrem freien Geist, der sich auf ihr gesamtes Leben ausgedehnt hatte und sogar ihren Namen definierte. Diese Frau gab sich in ihrem Leben mehrfach selbst einen neuen Namen, der stets ihren gegenwärtigen Zustand am besten beschrieb. Für sie war das logisch und sinnvoll, da auf diese Weise für jeden Menschen unverzüglich ersichtlich war, in welchem Lebensabschnitt oder Zustand sich die Frau als Trägerin des Namens befand. Aus ihrer Sicht heraus, da war es vollkommen unsinnig, einem Menschen gleich zu Beginn seines Lebens einen Namen zu geben, den er dann für immer behielt und den er sich selbst nicht aussuchen konnte. Solchen Unfug hatte sie in ihrem Leben niemals mitgemacht. Sie tat was sie wollte, auch wenn es zu einem Misserfolg wurde. Diese Frau tat es einfach, weil es ihr Leben war, das sie lebte.
So erzählte sie mir an diesem Ort im Wald viele seltsame Geschichten, die ich ihr kaum glauben wollte. Doch wie ich es für mich auch drehte, so hatte sie entweder eine geniale Phantasie und die Fähigkeit, bis ins hohe Alter hinein, alles logisch miteinander zu vernetzen. Doch vielleicht waren es tatsächlich auch Wahrheiten und echte Erlebnisse, von denen sie berichtete.
Erst spät brach ich nach einigen Eichelbroten (und was da sonst noch so alles drin verbacken war) mit Birkensirup(!!!) auf, um ins Dorf zu gelangen. Am kommenden Tag wollte ich wiederkommen, zumal sie mich freundlich eingeladen hatte.
Im Dorf nahm man von mir kaum Notiz. Nur der Gastwirt schaute mich misstrauisch an. Offenbar ahnte er, dass ich den ganzen Tag bei der Alten gewesen war, was ihm offensichtlich nicht sehr gefiel. Mir war das egal. Ich trank und aß gut, duschte noch ausgiebig und ging dann müde ins Bett.
Als ich am nächsten Morgen bei dem Haus der Alten ankam, stand die Tür weit auf, aber niemand war zu sehen. Zunächst setzte ich mich auf die Bank vor dem Haus, was mir aber schnell langweilig wurde. Ich war eben nur ein hektischer Stadtmensch. So lief ich ein Stück im nahen Wald umher, als ich plötzlich die alte Frau am Rand der Lichtung entdeckte, wie sie offenbar mit vier oder fünf Kaninchen sprach. Diese Tiere hoppelten völlig ohne Scheu ganz nahm um sie herum. Gut, sie war eine einsame, alte Frau. Das Sprechen mit den Tieren war für sie wohl auch eine angenehme Unterhaltung. Doch die Zutraulichkeit der Tiere, sie war schon ein wenig auffällig.
So ging ich also zum Haus zurück und erwartete sie auf der Bank.
Nach einer Weile kam sie zu mir und hatte eines der Kaninchen auf dem Arm und streichelte es. Das war wirklich sehr ungewöhnlich. Sie setzte sich neben mich und begann davon zu erzählen, wie lange es schon her gewesen war, dass sie so etwas gemacht habe. Während sie so erzählte, da streichelte sie das graue Tier. Doch plötzlich ging ein sanfter Ruck durch das Tier und durch die knochige Hand der Alten. Das Tier wurde daraufhin völlig kraftlos und schien in ihrer Hand gestorben zu sein.
Ungläubig stand ich auf und wollte mir die Sache genauer ansehen. Tatsächlich. Das Tier war tot, und mir war völlig undurchsichtig, wie sie das angestellt hatte. Auf einmal wurde mir unwohl. Hier ging etwas nicht mit rechten Dingen zu. Doch die Alte lächelte nur und begann hinter dem Haus dem Tier das Fell abzuziehen und küchenfertig zu machen.
Für sie schien dieser ganze Vorgang völlig normal gewesen zu sein. Sie erzählte mir dabei von ihrer Zeit zu Beginn des Wohnens im Wald und war ausgesprochen gut gelaunt. Offenbar freute sie sich auf den Braten.
Gegen Mittag roch es in der ganzen Umgebung wundervoll nach Kaninchenbraten, der mir dann auch stolz aufgetischt wurde. Es gab dazu allerlei Gemüse des Waldes, Brot und seltsam schmeckendes Wasser. Es war schon ganz erstaunlich, dass diese Frau offensichtlich in der Lage war, sich aus ihrer Umgebung weitgehenst selbst zu versorgen.
Natürlich sprach ich sie darauf an. Sie erzählte mir, dass es immer schwieriger werden würde, sich auf diese Weise zu versorgen, da immer mehr Menschen auch immer mehr Unruhe in den Wald bringen würden. Ihre Lebensweise würde immer mehr unangenehme Härte von ihr erfordern, die immer mehr Unverständnis provozieren würde. Das Zusammenspiel von Ursache und Wirkung sei eine Sache, welche die Menschen bis zum heutigen Tag nicht verinnerlicht hätten. Viele begreifen alles um sich herum, als Selbstverständlichkeit und überziehen damit die Welt mit Leid und gefühlter Ungerechtigkeit. Nur wer zum Geben bereit ist, der hat auch das Recht, nehmen zu dürfen, murmelte sie mit vollem Mund. Ja, so war sie, und es bereitete mir große Freude, ihr zuzuhören. Gerade auch wir Menschen in Europa pflegten tatsächlich mehr zu nehmen und zu verbrauchen, als wir jemals zu geben bereit waren. Das konnte nur zu einem Unglück führen.
Je mehr ich ihren Geschichten und Weisheiten zuhörte, desto mehr zweifelte ich daran, es hier mit einer verrückten Alten zu tun zu haben. Sie schien mir mehr und mehr eine hoch entwickelte Kreatur gewesen zu sein, das in dem Körper dieser alten Frau nur zu Besuch gewesen war. Sie schien auf mich äußerlich senil und gebrechlich gewesen zu sein, was allerdings nicht zu ihrem messerscharfen Verstand passte. Während sie erzählte, sprach sie einige Worte in einer mir nicht verständlichen Sprache und schaute sich immer wieder um, als wären wir beide nicht alleine gewesen. Das war alles schon ein wenig unheimlich.
Einmal flatterte ein Vogel heran, der so aussah, wie ein kleiner Falke. Er hüpfte direkt unter den Tisch und nahe an ihre alten Beine, worauf sie wieder etwas Undefinierbares von sich gab. Der Vogel kreischte einige Mal auf und flog dann wieder davon. Man konnte fast meinen, sie hätte mit den Tieren kommuniziert. Doch sollte das wirklich möglich gewesen sein? Bildete ich mir das alles nur ein?
Nun, vielleicht war es auch nur Einbildung von mir. Wie dem auch sei, wir verbrachten noch einen langen Tag miteinander, an dem ich noch viele interessante Geschichten von ihr zu Ohr bekam. Es waren auch Geschichten mit okkulten und spirituellen Inhalten, die sich massiv von dem unterschieden, was man sonst so las und hörte. Diese alte Frau hatte ein völlig eigensinniges und unwirklich erscheinendes Leben hinter sich und brillierte mit Denkweisen, die für Außenstehende völlig abstrus und schwer nachvollziehbar wirken mussten. Doch sie waren in sich völlig klar durchdacht und logisch, fast schon auf einer Entwicklungsstufe erdacht und kombiniert, die entweder nicht von dieser Welt gewesen war oder eventuell Einflüssen dieser Art ausgesetzt waren. Vielleicht bediente sich diese Frau bei Informationsquellen, die den meisten Menschen verborgen blieben? Ich wusste es damals nicht. Doch mir wurde rasch klar, warum sie sich im Wald verborgen gehalten hatte. Die Menschen verstanden sie nicht und fügten ihr Schmerzen zu. Sie war in diesen Wald geflohen. Er war eine Zuflucht.
Als ich am nächsten Tag, meinem letzten Tag in diesem Dorf, das Haus der alten Frau bis zum Mittag noch einmal besuchen und mich verabschieden wollte, fand ich es nur noch leer vor. Die Alte war verschwunden. Ob sie nur im Wald gewesen war, um nach neuen Kräutern und Gemüse zu suchen, dass konnte ich an diesem Tag nicht mehr feststellen.
Als ich nach einigen Monaten wieder einmal bei der Frau mit den ungewöhnlichen Namen vorbei schauen wollte, fand ich das Haus verschlossen und vollkommen verlassen vor.
Im Dorf erzählte man mir, dass man die Alte nach meinem Besuch noch einige Mal ganz früh am Morgen im Dorf gesehen habe, sie dann aber verschwunden blieb. Man habe nicht nach ihr gesucht, da das Haus ordentlich verschlossen und sorgfältig hinterlassen worden war. Offenbar hatte man sie in eines der benachbarten Altenheime gebracht. Obwohl ich noch eine Weile versuchte, ihren Aufenthaltsort zu ermitteln, sah ich die Alte niemals wieder.
Autor: © Alexander Rossa 2019