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Eine Vision (8)

»Engel haben Flügel, mit denen sie in unsere Träume und Visionen fliegen können.«


Nach der Leere kommt das Licht, dann das Bild. Nicht immer kommt das Licht, aber immer das Bild und gelegentlich, da folgt ihm ein Es.

Auf dem Sofa sitze ich im Wohnzimmer.

Es ist dunkel. Ich erkenne es, auch wenn es nicht mein Wohnzimmer ist, in dem ich sitze. Oft ist es dunkel, wenn ich hier sitze. In diesem Augenblick ist mir bewusst, dass es jetzt mehr ist, als nur ein Traum. Wäre es ein Traum, dann fehlte mir die Erinnerung.

»So ist es.«, höre ich eine weiche Stimme freundlich sagen.

Dort steht neben dem Sofa eine junge Frau. Sie ist bildschön und blickt mich freundlich an.
Sie ist das Es.
Oft ist es eine Frau, manchmal ein Mann. Ich weiß nicht, wer sie sind und was ihre Aufgaben und ihre wahren Ziele sind. Nur weiß ich, dass sie so hoch entwickelt zu sein scheinen, dass sie mein Bewusstsein fest im Griff haben. Ich bin völlig wehrlos. Doch bin ich nicht erschrocken. Es ist etwas an dieser Frau, was jeden Zweifel in mir, jede Furcht und jedes Misstrauen vollkommen aufgelöst hat.
Sofort ist mir bewusst, dass es kein Traum mehr ist, in dem ich mich befinde. Voll da bin ich, bei Bewusstsein und Verstand, und doch bin ich eigentlich in meinem Bett und schlafe.

»Joshua kommt gleich nach Hause. Du kennst ihn bereits.«, streichelt ihre sanfte Stimme meinen Verstand.

»Ja, ich kenne ihn. Einige Träume habe ich mit ihm erlebt.«

Mit einem recht faszinierenden Selbstverständnis spreche ich mit dieser seltsamen Frau, für die es keinerlei Geheimnisse zu geben scheint.

»Joshua braucht deine Hilfe. Dieser Mann ist einsam und verzweifelt. Er ist ein wenig, wie du und du bist ein wenig, wie er. Es ist dieses Band zwischen euch, das ihr beide schon lange erahnt. Er braucht dich jetzt.«

»Ich träumte von ihm, aber kenne ihn nicht wirklich. Seine Freunde und er, sie sind nur ein Traum, nicht mehr.«, meine ich leise, als führe ich ein Selbstgespräch.

Die junge Frau kommt näher.
Ich spüre eine große Freude in mir, bin ihr willenlos ausgeliefert.
Dieses Wesen ist so machtvoll, dass ich mich wie ein kleine Kind in den warmen und beschützenden Armen seiner Mutter fühle.

»Du weißt, dass es nicht so ist. Ihr teilt euch ein Bewusstsein, nur durch das Unvermögen getrennt, mehrere parallel existierende Ausprägungen vollumfänglich begreifen zu können. Deine Träume sind nur Echos aus vielen Leben, in denen Du bist. Einige Menschen vermögen mehr zu begreifen, als ihre Mitmenschen. Joshua und du, ihr begreift euch als existent. Du kannst das nicht leugnen. Bedenke doch, wer ich bin. Ich kenne euch beide gut.«

Ich weiß sehr wohl, wer diese erstaunliche Frau ist. Sie ist eines der Wesen, von denen viele Menschen seit Anbeginn der Menschheit an, immer wieder und wieder berichtet haben. Sie ist eine Dakini, Khandro, ein al-Mala’ika, eine Devi, Valar oder Maiar, ein Angelos oder Engel, um nur einige Namen zu nennen, die wohl zutreffen könnten. So viele Menschen sind ihnen bereits begegnet und doch sind sie noch ein Mythos bei den Menschen, wenn auch einer, der in nahezu allen Kulturkreisen zu finden ist.

»Was erwartest du von mir? Ich bin nur ein Mensch. Wir Menschen, wir sind einfach noch nicht so weit. Jeder Versuch wird einer Tölpelei gleichen. Jeder Eingriff muss ein Chaos auslösen. Meine Mitmenschen werden mich nicht verstehen, mich meiden und für verrückt erklären.«, versuche ich ihr dezent mitzuteilen.

Sie gibt sich völlig unbeeindruckt und lächelt mich weiterhin an.

Diese beeindruckende Wesenheit ist eine fabelhafte Erscheinung und dominiert meinen Geist völlig.

»Ihm helfen zu wollen, wird allen wohl tun. Du wirst wissen, wie du helfen kannst. Ihr seid miteinander verbunden. Wir sind alle miteinander verbunden. Wer sonst kann ihm besser helfen, als er sich selbst, über dich und andere. Hilf dir selbst und finde das Glück der Erkenntnis für euch beide.«

Dann höre ich den Schlüssel an der Tür.
Joshua kommt nach Hause.
Er geht in das Wohnzimmer, ohne das Licht einzuschalten. Dann schlendert er an der Frau und mir vorbei und scheint uns nicht zu bemerken. An den Tisch setzt er sich.
Er sitzt einfach nur da und denkt offenbar nach.
Manchmal hört man Joshua seufzen.
Doch die meiste Zeit, sitzt er regungslos da und blickt in die Schwärze des Wohnzimmers.

»Er kann uns nicht sehen?«, frage ich in den Raum hinein.

»Er könnte schon, wenn er nur wollte.«, antwortete dieses Wesen neben mir.

»Hören kann er uns auch nicht, richtig?«

Der Engel schüttelte kaum merklich den Kopf und beobachtete uns beide.

Es ist eine seltsame Situation, bedenkt man, das ich eigentlich schlafe und alles nicht wirklich real sein dürfte. Das ist krass. Doch habe ich das schon so oft erlebt.

Die junge Frau lächelt mich nun an, als hätte sie meine Gedanken erraten, was sie wahrscheinlich auch hat.

Nach einiger Zeit des Nachdenkens steht Joshua auf und geht ins Bad. Offenbar muss er auf die Toilette. Er vermeidet es dabei, das Licht einzuschalten.
Ihm scheint die Dunkelheit zu gefallen.

Als er nach einer Weile wieder im dunklen Wohnzimmer erscheint, gibt er für einen Augenblick irritiert. Er hält inne und schaut mir direkt in mein Gesicht. Offenbar hat er eine Art Huschen wahrgenommen. Ich kenne das, da ich selbst oft dieses Huschen wahrnehme, wenn ich nicht schlafe.
»Wie ich schon sagte, wenn er wollte, könnte er uns sehen.«, flüstert der Engel an meiner Seite und berührt sanft meine Schulter.
In diesem Augenblick ist die junge Frau verschwunden.
Ich bin mit Joshua alleine in dem dunklen Wohnzimmer.

Der Verlust des Engels, er hat in mir eine unglaubliche Monotonie und Kälte zurückgelassen. Als hätte man mir die schützende Hand und ihre Wärme entzogen und mich in diesen kalten Traum verbannt, so kam es mir vor. So war es tatsächlich auch. Sämtliche Gefühle scheinen zu sterben, und die Erinnerungen verwelken langsam, denn was mir geblieben ist, das ist doch nur noch ein Traum.
Dann steht Joshua vom Tisch auf und geht in die Küche.
Er öffnet den Kühlschrank. Das Kühlschranklicht erschreckt mich.

Ich schlage meine Augen auf und befinde mich liegend in meinem Bett. Eine Vision hatte ich erlebt. Visionen sind unverkennbar für geworden, da sie den menschlichen Geist bis in eine unangenehme Tiefe erschüttern. Man benötigt oft Tage, um wieder in seine Spur zu kommen. Rastlos schienen meine Gedanken nach Erklärungen und Antworten zu suchen. Doch die emotionale Erfahrung einer Vision, sie stellt das eigene Weltbild immer wieder gnadenlos auf den Kopf und verändert den Erlebenden.

Autor: © Alexander Rossa 2019

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