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Ein Traum. (7)

»Ein Traum ist das blasse Abbild von was und von wem?«

Nach der Leere kommt das Licht, dann das Bild.
Nicht immer kommt das Licht, aber immer das Bild.
Ein Raum öffnet sich vor mir. Es ist das Büro.
Ungewöhnlich hell ist es. Nur den leeren Schreibtisch kann ich sehen und die hellen Rahmen der Fenster.
Es ist schwer, die Eindrücke zu beschreiben.
Ich fühle etwas. Doch was ich fühle, das vermag ich nicht genau zu beschreiben. Meinen Körper kann ich nicht vollständig wahrnehmen, ihn nicht richtig fühlen. Denken kann ich nicht. Mir fehlt das Vermögen, Schlüsse aus dem zu ziehen, was ich sehe. Begreifen kann ich nicht. Die Bilder präsentieren sich mir, wie die Bilder in einem alten Stummfilm. Tätigkeiten und Handlungen geschehen einfach. Das Gewicht meines Körpers, es scheint nicht mehr vorhanden, hat sich in eine Nichts aufgelöst.

Schon sitze ich am Tisch.

Maikes Augen blicken mich an.
Sie sitzt dort, wo Helge sitzen müsste.
Doch empfinde ich keine Verwunderung.
Mein ganzer Fokus liegt nur auf Maike.
Es ist das Geschehen an sich, das mich lenkt, und sind keine klare Motivation und keine Gefühle. Meine Gefühlswelt scheint nur ein amöboides Konstrukt zu sein. Die Geschehnisse durchdringen nicht die Watte, in der mein Ich gebettet scheint. Sie kommen nicht an mich heran, um mich lieben, leiden oder sogar begehren zu lassen.

Maike lächelt.

Dann wendete sie sich ab und tippt etwas auf der Tastatur ihres Computers. Es ist kein Ton dabei zu hören, kein Geklapper der Tasten zu vernehmen.

Die Tür öffnet sich und ein Mann kommt herein.

Er ist schon älter. Lebensjahre und Kummer haben ihre Spuren hinterlassen. Mir ist dieser Mann bekannt.
Er geht an mir vorbei und bleibt kurz vor dem Schreibtisch stehen.
Von meiner Anwesenheit nimmt er keine Notiz.
Keines Blickes würdigt er mich, als wäre ich Luft.
Dann zieht er sich die Hose zurecht und räuspert sich leise.
Er wirkt unentschlossen und unsicher.

Maike sieht ihn an.
Er lächelt.

Dann sehe ich nur ihre Zunge, wie sie kaum merklich die Lippen benetzt. Er sieht es auch.
Dann scheint es fast so, als würde ein Ruck durch ihn gehen.
Er geht auf Maike zu.
Dann bückt er sich zu ihr hinunter und streichelt ihr sanft über das Haar. Sie blicken sich an, berühren sich zärtlich. Obwohl ich einige Meter weit entfernt von beiden stehe, meine ich, den Duft von Maikes Parfüm wahrnehmen zu können. Dennoch scheine ich auf dem Boden festgeklebt zu sein. Ich stehe nur da, kann mich nicht bewegen und nehme meinen Körper kaum wahr.
Maikes Duft ist betörend, obwohl ich ihn nicht riechen kann.
Sein in mir bewahrtes Bild ist es, nur eine Erinnerung, die mein Bewusstsein raffiniert umspielt.
Beide Gesichter nähern sich, bis sich die Lippen berühren.

Obwohl ich nicht küsse, nur beobachten kann, bin ich ungemein verwirrt und irritiert. Ich sehe beide Menschen küssen und spüre nur diese seltsame Rastlosigkeit in mir. An seiner Stelle möchte ich sein und kann es nicht.

Energisch strebe ich dem Paar entgegen.

Mit aller Kraft versuche ich mein rechtes Bein zu heben. Doch es bewegt sich kaum. Ich höre mich stöhnen. Kaum Luft steht mir zur Verfügung. Nur ganz langsam erhebt sich mein Bein vom Boden. Mit meinem ganzen Gewicht schiebe ich mich in die Richtung der Küssenden. Jeder Zentimeter ist eine Qual. Völlig verzweifelt bin ich, erkenne jedoch nicht den Grund dafür.

Dann beginne ich damit, zu schreien.

Doch nicht ein einziger Ton verlässt meine Kehle, um durch den Mund das Weite zu suchen. Weinen könnte ich, als ich meine Zähne fest zusammen beiße, um mich mit aller Kraft immer weiter vor zu bewegen.

Dort stehen sie und küssen sich.

Ein nicht zu bändigendes Verlangen ist in mir dort zu sein, ganz nahe bei dem Paar. Doch ich komme nicht voran.
Die Zeit vergeht. Meine Kraft schwindet. Die Verzweiflung in mir droht, mich zu verbrennen.
Dann höre ich ein lautes Lachen.

Ich sehe mich um. Wie aus dem Nichts, ist Helge neben mir erschienen. Er hat ein breites Grinsen in seinem Gesicht. Helge verhöhnt mich, und er ist es auch, dessen lautes Lachen ich hören kann.
Ich verabscheue dieses Gesicht und seinen billigen Spott.

Seine Hände greifen nach mir.

Sie erreichen meinen Arm und ziehen mich an ihm zurück. Immer wieder suche ich den Weg zum Schrei. Doch alles ist still. Nur das Lachen von Helge ist zu hören.
Dann wird es finster und das Lachen verstummt.
Meine Augen brennen.

Ich liege in meinem Bett.

Erwacht bin ich. Mühsam drehe ich mich um. Eine ganze Weile benötige ich, um meine Orientierung wieder zu erlangen.
Diese Träume sind mir inzwischen ein Graus.
Sie sind nicht selten bizarr.
Dieser Joshua in dem Traum, Maike und Helge, sie sind sie eine Fiktion? Ich kann mir das kaum erklären. Mich nimmt das alles sehr mit.
Lange liege ich fast immer wach, wenn ich so ein Traum durchlebt habe. Alles ist sehr schwer zu begreifen und noch schwieriger ist es nach so einem Traum, seine eigene Mitte wieder zu finden. Maike und dieser Kuss, sie haben mich offenbar sehr aufgeregt.
Doch sind diese Traumfiguren eigentlich nicht mehr, als nur die Protagonisten in einem eher schlechten Film.
Es fällt mir schwer, wieder einzuschlafen.

Autor: © Alexander Rossa 2019

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